Zypern-Istanbul-Zypern-GB/Dover-Zypern-Westberlin-Moabit-…
Das sind einige Orte und Stationen von Hulusi Halit aus den 70zigern, da war ein Teenager, ein junger Mann in den Irrungen und Wirrungen des Zypernkonflikts und Juli 1974 Zypernkrieges.
In seiner hell ausgeleuchteten Galerie „Salon Halit Art“ im Bergmannkiez erzählt mir Hulusi Bey in schnellen Sätzen von seinem Leben, dabei klingt der Zyprioten Akzent im türkischen durch. Ich nenne ihn heimlich den „Zypernsound“. Die Sätze sind kurz, schnell, die Konsonanten abgehackt und irgendwie klingt es lässig. Es ist ein Gemisch sowie die Jahrtausend alte gemischte Historie Zyperns, die drittgrößte Mittelmeerinsel.
Die Galerie „Salon Halit Art“ ist stark ausgeleuchtet, als würde die Sonne Zyperns hier rein leuchten und die Bilder, Graphiken, Zeichnungen an den Wänden dieser Bergmann-Kiez-Institution noch ein wenig hervorstechen lassen, dem Betrachter ein wenig näherbringen wollen.
Vor mir steht Hulusi Bey (höfliche türkische Anrede „Bey“). Ein grauer Wuschelkopf, drahtige Erscheinung und leuchtende kleine blaue Augen, die immer zu lachen scheinen… ja, scheinen…
Hulusi Bey holt mit großer Gestik aus, seine Arme und Hände wirbeln vor mir, als er von der Tragödie im Winter 1965 erzählt, da war 10 Jahre alt und der älteste von 5 Geschwistern.
„Damals hat mein Vater von einem lokalen Grundbesitzer eine Arbeit als Gärtner bekommen, in einem Zitrushain mit einem Häuschen. Ich hab mich gefreut, wir alle in der Natur…
Vor dem Häuschen verlief eine Hauptstraße. Meine Eltern schliefen mit ihrem Kleinkind im Zimmer zur Hauptstraße. Eines Winterabends fuhr spät in der Nacht ein Bus mit Hochzeitgästen auf dieser Hauptstraße und fuhr direkt in das Häuschen meiner Eltern. Mauern stürzten ein und unter den Trümmern waren mein Vater, meine Mutter und mein kleines Geschwisterchen Tod. Wir Kinder schliefen im hinteren Zimmer zum Garten hinaus. Wir überlebten. In dieser Nacht nahm ich meine Geschwister und wir liefen in der Dunkelheit bis zum Dorfzentrum. Dort erzählte ich meinem Onkel, was passiert war…“
Für einen Moment verschlägt es mir den Atem. Ich muss tief Luft holen, um das Ausmaß dieses tragischen Unfalls zu begreifen.
Aber Hulusi Bey setzt fort, seine Stimme wird lauter, aufgeregter…
„Wir hatten keine Eltern mehr und der Zitrushainbesitzer nahm mich und meine Schwester als eine Art „Pflegekinder“ auf, wir haben für ihn gearbeitet und sind dort zur Schule gegangen. Als ich dann 18 Jahre alt war und die Oberschule abgeschlossen habe, bin ich zu meiner Oma gezogen. (in demselben Ort)“
„1972 war ich an der Universität Istanbul, ich konnte gut zeichnen, dort war ich allein, kannte wenige Leute, knapp an Geld. War nix für mich. Ich ging zurück nach Zypern und von dort nach England. In Dover an der Grenze haben sie meine Dokumente durch gecheckt und ich brauchte eine Bürgschaft von meinem Onkel in London. Die Grenzbeamten riefen bei meinem Onkel an. Er war gerade in dem Moment nicht anwesend, also konnte er nicht ans Telefon, also keine Bürgschaft, also wurde ich mit dem Zug wieder zurück geschickt.
Dann im März 1974 habe ich einige junge Westberliner auf Zypern kennengelernt. Hab sie auf der Insel rumgeführt. Sie haben mir geholfen, dass ich nach Westberlin kommen konnte. Frühjahr 1974 kam ich in der Nähe von der U-Bahnlinie Turmstraße an und schrieb mich in der HDK für Werbekommunikation ein. Übers Studentenwerk konnte ich jobben und mich übers Wasser halten.
Dann im Juli 1974 brach der Zypernkrieg aus. Ich war in Westberlin und hatte keinen direkten Kontakt zu meiner Familie, da Telefone nicht so verbreitet waren. Meine Familie wurde von Südzypern nach Nordzypern verlegt. 1975 machte ich mich dann auf die Suche nach ihnen und fand sie in Nordzypern.
Von 1976 bis 2005 war ich nicht auf Zypern. Also 29 Jahre blieb ich der Insel fern. Und 2005 hatte ich eine Ausstellung in Südzypern (Republik Zypern, griechischer Teil). Dann habe ich mich mit meinen Geschwistern getroffen. Seit 2003 ist Grenze zwischen beiden Teilen durchlässig für Besuch in jeweils anderen Teil der Insel.
Ein bürokratischer Aufwand, eine Art „Passierschein“ war notwendig, um in den Nordteil Zyperns zu gelangen… Auf meinem Pass steht „Republik Zypern“, seit Mai 2004 ist Südzypern also Republik Zypern Mitglied der E.U.“
Während Hulusi Bey von Details der bürokratischen Absurditäten und Hürden erzählt, merke ich den Schalk in ihm, wie er sich durch diesen Dschungel von Auflagen, Papieren, Dokumenten durchgewurschtelt hat. Schließlich waren ähnliche Absurditäten an den Grenzübergängen von West-Ostberlin an der Tagesordnung in den 70-80ziger Jahren. Hulusi Bey hatte erlebte Erfahrung in einer geteilten Stadt Berlin und Übung darin, wie man damit umzugehen hat. Ein Kapitel für sich. Alteingesessene Berliner können davon ein Lied singen.
Irgendwann im Gespräch kommen wir auf das Thema „Kayiplar“, die Verlorenen, Verschollenen Person im Zypernkonflikt und Zypernkrieg.
Und Hulusi Bey erzählt diese unglaubliche Geschichte vom Feigenbaum. Eine Story, die filmreif ist.
In Leymosun in der Gegend von Ayios Yeorgios Alamanos (Süd Zypern) lebt Ksenofon Kallis, ein aufmerksamer und neugieriger Mensch, der ein waches Auge für seine Umgebung und Mitmenschen hat.
Eines Tages während eines Spazierganges fällt Herr Kallis auf, das aus einer felsigen Höhle Feigenbäume wachsen, die nicht typisch für diese gebirgige Gegend sind, keine lokale Vegetation. Es ist die Feigenart „Anadoliga“, mit hellen grünen Feigen (weiße Feigen), die überhaupt nicht in diesen Höhen wächst. Herr Kallis wundert sich und wird neugierig. Er fängt an zu recherchieren, benachrichtigt die Behörden, es werden weitere Untersuchungen durchgeführt, dann wird der Baum abgeschnitten, und Grabungen durchgeführt. Es werden Menschenknochen gefunden.
In den umgebenden Dörfern werden die Gärten durchsucht. Wer hat die Feigenart Anadoliga im Garten?
Die Familie Hergüner hat einen Feigenbaum Anadoliga im Garten. DNA-Test werden durchgeführt. Es stellt sich heraus, das Ahmet Hergüner am Tag seines Verschwinden, Feigen vom Anadoliga Baum gepflückt hat. Seine letzte Mahlzeit waren Feigen, dann wurde er von griechischen Militanten abgeholt und in der Höhle mit zwei anderen Männern erschossen. Der Höhleneingang wurde mit Dynamit zugeschüttet, dabei entstanden Löcher über der Höhle, wodurch Sonnenlicht in die Höhle eindringen konnte. Das Sonnenlicht gab den Feigenresten im Magen von Ahmet Hergüner ein neues Leben. Ein imposanter Anadoliga Feigenbaum wuchs aus der Höhle hinaus und machte aufmerksam auf die Überreste der Verschollenen.